Kinderbücher
31.7.2023
Kinder lesen gerne Geschichten und Märchen. Je gruseliger, desto besser. Am liebsten nachts unter der Bettdecke mit der Taschenlampe in der Hand. Das war schon immer so und könnte so bleiben, wenn es nicht Bestrebungen gäbe, die Kinder zu schützen vor all diesen schrecklichen Dingen und Scheinwelten.
Auf der Liste der hundert meistgelesenen Kinderbüchern der Welt steht Maurice Sendaks "Where the Wild Things Are" ganz oben. Es ist die Geschichte von Max, der in die Welt hinauszog und zum König der Monster wurde. Sofort gab es Kritik, die Geschichte sei zu schrecklich für Kinder, was Sendak so kommentierte: "Where the Wild Things Are muss nicht jedem gefallen - nur den Kindern".
Der Trend geht jedenfalls dahin, Kinderbücher an den Zeitgeist der Erwachsenen anzupassen, ganz unabhängig vom Leseverständnis der Kinder. Dafür gibt es unzählige Beispiele.
Die Erzählungen von Roald Dahl wurden an vielen Stellen "angepasst". In The BFG (Big Friendly Giant) heißt es zum Beispiel: „Du bist kreidebleich geworden!“ Nun heißt es: „Du bist erstarrt wie eine Statue!“ und der BFG konnte auch keinen „schwarzen“ Umhang tragen. Aus den „Wolkenmännern“ von James und dem Riesenpfirsich waren „Wolkenmenschen“ geworden. „Tante Schwamm, die Dicke, ist über eine Kiste gestolpert“ heißt im selben Roman nun „Tante Schwamm, ist über eine Kiste gestolpert“. Tatsächlich wurde das Wort „Fett“ aus jedem Buch gestrichen. Und es wurden Zeilen eingefügt, die nicht von Dahl stammten. In „The Witches“ folgte nun auf einen Hinweis auf die Tatsache, dass Hexen eine Glatze haben und Perücken tragen, die neue Zeile: „Es gibt viele andere Gründe, warum Frauen Perücken tragen könnten, und daran ist sicherlich nichts auszusetzen.
Das sind nur kleine Beispiele, die zeigen, dass kein einziger Erwachsener "verletzt" werden darf (hässlich, fett, dick!). Kinder werden nicht gefragt. (Salman Rushdie bezeichnete die Änderungen als „absurde Zensur").
Steven Spielberg wurde nach der umstrittenen Überarbeitung von Roald Dahls Werk gefragt, bei der Wörter wie „fett“ in „enorm“ und „hässlich und bestialisch“ in einfach „bestialisch“ geändert wurden. „Für mich ist sein Werk unantastbar. Es ist unsere Geschichte, es ist unser kulturelles Erbe. Ich glaube nicht an Zensur in diesem Bereich".
Hugh Loftings Buch "The Story of Dr Dolittle" aus dem Jahr 1920 wurde umgeschrieben, um eine Nebenhandlung zu entfernen, in der eine schwarze Figur weiß werden möchte. PL Travers‘ Roman „Mary Poppins“ aus dem Jahr 1934 (Platz 51 auf der Liste der meistgelesenen Bücher) wurde vom Autor zweimal überarbeitet, um ethnische Stereotypen zu beseitigen.
Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf wurde verändert, weil es den Begriff "N-Wort" enthält (und sogar "R-Wort"). Es ist unklar, was an "N-Wort" anstößig sein soll. Annika Lindgren, Enkelin der Autorin, die Initiatorin der Textänderungen sagt trotzdem: "Astrid hätte niemals etwas geschrieben, was ein Kind verletzen würde." Deshalb hätten sich die Nachfahrinnen und Nachfahren dazu entschlossen, jedes "N-Wort" aus den neuaufgelegten Büchern der schwedischen Schriftstellerin zu entfernen.
Amanda Craig, Romanautorin, Kritikerin und Verfechterin von Kinderbüchern, äußert sich besorgt: "„Was einen historischen Text betrifft, dessen Autor tot ist, auch wenn er beleidigend ist, und eine Reihe von Kinderbüchern sind beleidigend, denke ich, dass wir es trotzdem stehen lassen müssen, weil Sie sonst über die Vergangenheit lügen und ich gegen die Zensur der Vergangenheit bin.“
Die Meinung der Autorin Craig steht nicht allein und trotzdem geht die Zensur weiter, jetzt in Gestalt der Sensitivity Readers. Der britische PUFFIN Verlag, Herausgeber von Dahls Büchern, arbeitet mit "sensiblen Lesern" einer Beratungsfirma namens Inclusive Minds zusammen, um Änderungen vorzunehmen. Der Buchhändler hat „sensible Leser“ als „Leser mit einem bestimmten Hintergrund oder solche mit besonderen Lebenserfahrungen, die Manuskripte lesen, um problematische und schädliche Darstellungen zu beseitigen“ beschrieben. Wenn ein Autor beispielsweise eine Figur einer Religion oder einer anderen Kultur als der des Autors darstellt, könnte er einen Sensibilitätsleser verwenden, um nach Fauxpas zu suchen. Ihr Einsatz hat ihren Ursprung in den USA, wo Sensitivitätsmessungen vermutlich weiter verbreitet sind als im Vereinigten Königreich.
Zusammenfassend kann man sagen, dass heute kein Verlass mehr darauf ist, ein Kinderbuch im Original zu lesen. Der Druck ist zu groß, alle schriftstellerischen Werke an den Zeitgeist anzupassen. Da dieser aber fließend ist, müssten die Werke etwa alle zehn Jahre wieder verändert werden. Das führt zu der Überlegung, Bücher nur 10 Jahre lang bestehen zu lassen. Man nimmt also an, dass in diesen 10 Jahren ein Buch dem Zeitgeist widerstehen kann, danach nicht mehr. Das heißt, dass ein Buch nach 10 Jahren vernichtet wird und aufhört zu existieren.
Weniger radikal ist der Vorschlag, Texte unverändert zu belassen und auf "Missstände des Werks" im Vorwort hinzuweisen. Oder zwei Versionen eines Buches herauszubringen. Der PUFFIN-Verlag macht genau das, was in dieser Situation angemessen ist: Die neue Auflage mit bereinigtem Text bleibt, hinzu kommt aber eine weitere Auflage, die sich jeder weiteren Änderung am Text enthält. Kurz gesagt: Aufmerksame oder sehr sensible Erwachsene können ihren Zöglingen eine neue Ausgabe vorlegen, die Verstörung weitestgehend ausschließt (gar nicht so einfach bei Dahl, und das ist gut so – aber das ist eine andere Geschichte…), Hartgesottene oder Nostalgiker bekommen das, was sie von der Literaturmarke Dahl erwarten dürfen und das wohl auch zu einem großen Teil den immensen Erfolg seiner Bücher – von „Matilda über „Sophiechen und der Riese“ – erklärt. Dieser Autor traute seinen jungen Lesern eben etwas zu.
Zum Schluss ein Hinweis auf die Korrekturbedürftigkeit von Märchen, speziell Grimms Märchen. Aufgrund ihrer Grausamkeit sind sie natürlich nicht kindgerecht (heutzutage) - denken wir nur an den Suppenkaspar. Wir haben die Texte einiger Märchen entschärft und bieten damit sehr schöne und absolut harmlose Märchen für unsere Kinder.
Die einhundert meistgelesenen Kinderbücher der Welt:
1 |
Wo die wilden Kerle wohnen (Maurice Sendak, 1963) |
2 |
Alices Abenteuer im Wunderland (Lewis Carroll, 1865) |
3 |
Pippi Langstrumpf (Astrid Lindgren, 1945) |
4 |
Der kleine Prinz (Antoine de Saint-Exupéry, 1943) |
5 |
Der Hobbit (JRR Tolkien, 1937) |
6 |
Nordlichter (Philip Pullman, 1995) |
7 |
Der Löwe, die Hexe und die Garderobe (CS Lewis, 1950) |
8 |
Winnie-the-Pooh (AA Milne und EH Shepard, 1926) |
9 |
Charlottes Netz (EB White und Garth Williams, 1952) |
10 |
Matilda (Roald Dahl und Quentin Blake, 1988) |
11 |
Anne auf Green Gables (LM Montgomery, 1908) |
12 |
Märchen (Hans Christian Andersen, 1827) |
13 |
Harry Potter und der Stein der Weisen (JK Rowling, 1997). ) |
14 |
Die sehr hungrige Raupe (Eric Carle, 1969) |
15 |
The Dark is Rising (Susan Cooper, 1973) |
16 |
Die Ankunft (Shaun Tan, 2006) |
17 |
Little Women (Louisa May Alcott, 1868) |
18 |
Charlie und die Schokoladenfabrik (Roald Dahl , 1964) |
19 |
Heidi (Johanna Spyri, 1880) |
20 |
Goodnight Moon (Margaret Wise Brown und Clement Hurd, 1947) |
21 |
Die Abenteuer von Pinocchio (Carlo Collodi, 1883) |
22 |
Ein Zauberer von Erdsee (Ursula K. Le Guin, 1968) |
23 |
Winter in Muminland (Tove Jansson, 1957) |
24 |
I Want My Hat Back (Jon Klassen, 2011) |
25 |
Der geheime Garten (Frances Hodgson Burnett, 1911) |
26 |
Duck, Death and the Tulip (Wolf Erlbruch, 2007) |
27 |
Die Brüder Löwenherz (Astrid Lindgren, 1973) |
28 |
Harry Potter und der Gefangene von Askaban (JK Rowling, 1999) |
29 |
Brown Girl Dreaming (Jacqueline Woodson, 2014) |
30 |
Die drei Räuber (Tomi Ungerer, 1961) |
31 |
The Snowy Day (Ezra Jack Keats, 1962) |
32 |
Ein Tiger kommt zum Tee (Judith Kerr, 1968) |
33 |
Das wandelnde Schloss (Diana Wynne Jones, 1986) |
34 |
Das Zeiträtsel (Madeleine L'Engle, 1962) |
35 |
Unten am Fluss (Richard Adams, 1972) |
36 |
Tom's Midnight Garden (Philippa Pearce, 1958) |
37 |
Grimms Märchen (Brüder Grimm, 1812) |
38 |
Das Märchen von Peter Rabbit (Beatrix Potter, 1902) |
39 |
Die Eisenbahnkinder (Edith Nesbit, 1906) |
40 |
Nullen und Kreuze (Malorie Blackman, 2001) |
41 |
Die BFG ( Roald Dahl und Quentin Blake, 1982) |
42 |
Rules of Summer (Shaun Tan, 2013) |
43 |
Momo (Michael Ende, 1973) |
44 |
Ferdinand, der Stier (Munro Leaf und Robert Lawson, 1936) |
45 |
Der Herr der Ringe (JRR Tolkien, 1954) |
46 |
Eulenzauber (Alan Garner, 1967) |
47 |
Ronia, die Räubertochter (Astrid Lindgren, 1981) |
48 |
Die Unendliche Geschichte (Michael Ende, 1979) |
49 |
Panchatantra (Anonym. altindisch, 3.-6.Jh.) |
50 |
Die Schatzinsel (Robert Louis Stevenson, 1883) |
51 |
Mary Poppins (PL Travers, 1934) |
52 |
Ballet Shoes (Noel Streafield, 1936) |
53 |
So viel! (Trish Cooke und Helen Oxenbury, 1994) |
54 |
Wir gehen auf Bärenjagd (Michael Rosen und Helen Oxenbury, 1989) |
55 |
Zwiebelchen (Gianni Rodari, 1951) |
56 |
The Giving Tree (Shel Silverstein, 1964) |
57 |
Der Grüffelo (Julia Donaldson und Axel Scheffler, 1999) |
58 |
Julián ist eine Meerjungfrau (Jessica Love, 2018) |
59 |
Komet im Muminland (Tove Jansson, 1946) |
60 |
Die Mumins. Eine drollige Gesellschaft (Tove Jansson, 1948) |
61 |
Die Hexen (Roald Dahl und Quentin Blake , 1983) |
62 |
Ein Bär namens Paddington (Michael Bond, 1958) |
63 |
Der Wind in den Weiden (Kenneth Grahame, 1908) |
64 |
Roll of Thunder, Hear My Cry (Mildred D. Taylor, 1977) |
65 |
Karlsson vom DAch ( Astrid Lindgren, 1955 und Wendy (JM Barrie, 1911) |
66 |
The Phantom Tollbooth (Norton Juster und Jules Feiffer, 1961) |
67 |
Der Kater mit Hut (Dr Seuss, 1957) |
68 |
Die wundersame Reise von Edward Tulane (Kate DiCamillo und Bagram Ibatoulline, 2006) |
69 |
Peter und Wendy (JM Barrie, 19 11 ) |
70 |
Tausendundeine Nacht (Anonym) |
71 |
Aus den gemischten Akten von Frau Basil E. Frankweiler (EL Konigsburg, 1967) |
72 |
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (Judith Kerr, 1971) |
73 |
Shum Bola (G'afur G'ulоm, 1936) |
73 |
Ernest und Celestine (Gabrielle Vincent, 1981) |
75 |
A Kind of Spark (Elle McNicoll, 2020) |
76 |
Der kleine Nick (René Goscinny und Jean-Jacques Sempé, 1959) |
77 |
Black Beauty (Anna Sewell, 1877) |
78 |
Daddy Langbein (Jean Webster, 1912) |
79 |
No Kiss for Mother (Tomi Ungerer, 1973) |
80 |
My Family and Other Animals (Gerald Durrell, 1956) |
81 |
Jacob Have I Loved (Katherine Paterson, 1980) |
81 |
Der Lorax (Dr Seuss, 1971) |
83 |
Die Geschichten von Mutter Gans (Charles Perrault, 1697) |
84 |
Die Mumins und die große Sintflut (Tove Jansson, 1945) |
85 |
Der wunderbare Zauberer von Oz (L Frank Baum, 1900) |
86 |
Just William (Richmal Crompton, 1922) |
87 |
Die Twits (Roald Dahl und Quentin Blake, 1980) |
88 |
The Mouse and His Child (Russell Hoban, 1967) |
89 |
Out of My Mind (Sharon M Draper, 2010) |
90 |
Mumintal im November (Tove Jansson, 1970) |
91 |
Kleines Haus im großen Wald (Laura Ingalls Wilder, 1932) |
92 |
Danny, der Weltmeister (Roald Dahl, 1975) |
93 |
Der Schneemann (Raymond Briggs, 1978) |
94 |
Welle (Suzy Lee, 2008) |
95 |
Die schwarzen Brüder (Lisa Tetzner, 1940) |
96 |
Das Samtkaninchen (Margery Williams, 1921) |
97 |
Der schlechte Anfang (Lemony Snicket, 1999) |
98 |
Das Friedhofsbuch (Neil Gaiman, 2008) |
99 |
In Amerika geborene Chinesen (Gene Luen Yang und Lark Pien, 2006) |
100 |
Haroun und das Meer der Geschichten (Salman Rushdie, 1990) |
Quellen:
[1] https://www.bbc.com/culture/article/20230522-the-100-greatest-childrens-books-of-all-time
https://www.bbc.com/culture/article/20230530-roald-dahl-the-fierce-debate-over-rewriting-childrens-classics
https://www.n-tv.de/leute/Astrid-Lindgrens-Enkelin-schliesst-nichts-aus-article24286899.html
https://www.bbc.com/culture/article/20230522-where-the-wild-things-are-the-best-childrens-book-ever
https://www.zeit.de/2023/32/astrid-lindgren-kinderbuecher-rassismus-sprache-annika-lindgren?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
https://www.rollingstone.de/der-verlag-von-roald-dahl-machts-jetzt-doch-genau-richtig-2560801/