Spargelradar
17.7.2014
Bei Sonnnenuntergang saß Familie Wojcik auf der Terrasse ihre Häuschens im kleinen Ort Wysokie am Rande von Zamosc. Der Rasen roch frisch geschnitten und die hohen Bäume warfen immer längere Schatten darauf. Es war sommerlich warm - ein angenehmer Abend. Darek und Justyna mit ihren Kinder Piotrek und Ulka genossen diesen Abend, denn bald würde der Herbst Einzug halten.
Bei Salzgurken, Brot, Weißkäse und Weißwurst erzählten die Kinder von ihren Erlebnissen des Tages. Während Ulka immer wieder ihr Kluges Telephon (smart phone) prüfte (checkte), begeisterte sich Piotrek für seine neuesten Turmsprungerfolge im Schwimmbad im nahegelegenen Elk. Und Darek wärmte einige Begebenheiten aus seinem Spargeleinsatz auf. Noch im Mai war er in Beelitz im Ernteeinsatz gewesen - wie jedes Jahr.
Als die Kinder nach dem Essen im Haus waren, sah Darek seine liebreizende Justyna traurig an und sagte: "Meine Liebe, ich glaube, nächstes Jahr wird es schwieriger mit dem Spargel. Ich muss wohl bis nach Frankreich fahren. Dann bin ich auch länger weg."
"Bist du jetzt schon sicher, dass sie dich nicht wieder haben wollen in Beelitz?" fragte Justyna. "Sie wollen gar niemand haben. Das weiß ich von Alexander (dem Sohn des Besitzers der Spargelfelder), er sagte, dass sie nächstes Jahr nur Maschinen zur Ernte einsetzen werden, keine Helfer mehr. Ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll, aber sie werden das wohl machen, da sind sie ziemlich konsequent." Justyna seufzte: "Du Armer, die Deutschen! Niemanden wollen sie mehr haben, bald leben dort nur noch Maschinen!" Sie küsste ihren Darek und schwor ihm ewige Treue.
Am selbigen Tag fand in Wolfsburg bei der Firma ASM Dimatec eine Planungsbesprechung statt.
Ziel der Besprechung war es, den Maschineneinsatz für die Spargelsaison im kommenden Jahr vorzubereiten. Anwesend waren: Prof. Dr.-Ing. Jörg Schöbel (Technische Universität Braunschweig) mit dem Assistenten Dipl.-Phys. Daniel Seyfried sowie der Geschäftsführer der ASM Dimatec GmbH, Dipl.-Ing. Christian Bornstein, mit seinem Mitarbeiter B.Eng. Malte Helberg.
Seyfried und Helberg hatten Ende April das neue Spargelradar im Feldversuch in Ribbesbüttel getestet und berichteten jetzt noch einmal darüber. Die Ergebnisse des Tests in natürlicher Umgebung waren vielversprechend. Man einigte sich darauf, die Technik für den Realeinsatz weiterzuentwickeln und im kommenden Jahr kommerziell einzusetzen.
Bornstein war erleichtert. Die Spargel-Vollernter seiner Fima waren schon einige Jahre auf den Feldern unterwegs, doch sie waren und sind blind. Das heißt, sie schneiden den Spargel in konstanter Tiefe aus dem Boden, so dass zum einen der Schnitt oft zu kurz gerät und zum anderen ebenso oft zu tief, so dass das Wurzelgeflecht des Spargels durchtrennt wird.
Die neue Erfindung durchleuchtet in laufender Fahrt den Spargelwall mit Funkwellen. So kann durch die online-Bildanalyse jede Spargelstange genau vermessen und das Messerwerk entsprechend angepasst ausgefahren werden. So wird ein zu kurzes oder ein zu langes Abtrennen vermieden. Die reale Schwierigkeit liegt darin, störende Objekte wie Steine und Mäuse erkennen und eliminieren zu können.
Der Optimierung der vollautomatischen Spargelernte ist somit der Weg bereitet. Deutsche Ingenieurskunst und deutsches Unternehmertum verhelfen den deutschen Spargelbauern zu einer sicheren wirtschaftlichen Zukunft angesichts der europäischen Konkurrenz und der drohenden Belastung durch den Mindestlohn.
Darek seufzte. Justyna stellte ihm voller Mitgefühl ein Tyskie hin. Die tiefstehende Sonne brachte die Flasche goldgelb zum Leuchten, und auch das Display des Lenovo Notebooks leuchtete. Darek suchte nach Spargelanbaugebieten in Frankreich. Ein Kollege hatte ihm erzählt, dass die Franzosen reichlich Spargel anbauen und essen, und dass immer Erntehelfer gesucht werden, bei recht guter Bezahlung. Zum Schluss landete er bei der Ferme du Mas de Castels im Département Landes in Südwestfrankreich. "Da gibt es Asperges!" sagte er zu seiner Justyna, die sich an ihn schmiegte. "Da gehen wir hin! Wir lernen französisch. Und weit ist es nicht bis zum Atlantik."
"Ja", hauchte Justyna, "und dann musst du nie wieder in Deutschland arbeiten". Dareks Augen leuchteten und sprachen "Wenn ich dich nicht hätte!".