Tilt Brush

1.10.2018

Tilt Brush 3D-Zeichnung

Eine Figur, einen Gegenstand, ein dreidimensionales Gemälde in den freien Raum zeichnen, darum herumgehen, von allen Seiten betrachten - hindurchgehen!

Es geht um virtuelle Gestaltung und die Loslösung von der Ebene. Modellieren wie bei der 3D-Konstruktion, nur ohne geometrisches Koordinatensystem. Das Traumgebilde freihändig erschaffen mit einer Technik, die viel mehr bietet als der gewöhnliche Pinsel.

Im Jahr 2014 experimentierten Patrick Hackett und Drew Skillman mit dem HTC (High Tech Computer Corporation, Taiwan) VIVE Virtual Reality (VR) System, bestehend aus Headset , Computer (Basisstation) und Controller (Handgerät) - einer Ausrüstung, wie sie für Computerspiele benutzt wird. Sie modifizierten das Programm so, dass nicht mehr eine vorprogrammierte 3D-Szene zu sehen war, sondern nur die Bewegungslinien des im Raum bewegten Controllers. So waren sie in der Lage, räumliche Linien und Muster zu erzeugen, die abgespeichert und jederzeit reproduziert werden konnten.

Innovationen haben oft Vorläufer in „grauer Vorzeit“. Die Idee, Lichtspuren aufzuzeichnen, hatte der Photograph Gjon Miki schon im Jahr 1949. Er besuchte Pablo Picasso und drückte ihm einen Lichtstift in die Hand. Dann bat er den weltberühmten Künstler, eine Zeichnung in die Luft zu zaubern. Mili filmte den Vorgang und besaß fortan ein virtuelles Picasso-Gemälde, das nicht in der Realität existiert, sondern nur auf einem Zelluloidstreifen.

Hackett und Skillman nannten den umprogrammierten Controller „Tilt Brush“ in Anlehnung an einen Pinsel, mit dem man auf eine schräge „tilted“ Ebene malt, realisiert in einer Anfangsversion des Programms.

Tilt Brush in Aktion

2015 kaufte die Firma Google die Tilt Brush mitsamt ihren Erfindern ein. In seinem „Artists-in-Residence Program“ fördert Google seither die Erschaffung von Kunstwerken mit der Tilt Brush. Namhafte Künstler auf dem Sektor der 3D-Collagen (Dustin Yellin), Animation (Glen Keane, Disney), Comics (Scott McCloud) u.a. verbringen einige Zeit im Google Tilt Brush Office in New York, um das neue Kreativmedium kennenzulernen und zu nutzen. Einige tragen dazu bei, das System weiterzuentwickeln. So wurde vorgeschlagen, einfache Körper wie Würfel oder Zylinder im Raum zu platzieren, um den Künstler nicht im leeren Raum beginnen zu lassen. Glen Keane wünscht sich eine Zeitdimension. Das heißt, wie damals bei Disney möchte er Bildsequenzen erstellen, nun allerdings räumlich, und diese zu einem Film zusammenfügen.

Google bietet die eigene Tilt Brush Software für die Hardwaresysteme HTC VIVE und Oculus RIFT (und vermutlich auch QUEST) an. Dabei kann ähnlich wie bei Bildbearbeitungssystemen wie GIMP eine Pinselpalette mit verschiedenen Pinselprofilen und eine Farbpalette genutzt werden, und zwar mit Hilfe der beiden Controller.

Somit ist der Weg bereitet für Jedermanns künstlerische Ambitionen. Jeder kann sich jetzt wie ein Picasso fühlen, ohne es zu sein, denn dazu gehört mehr.

"white" von Anzca (2018) ansehen