Roboterhände
13.10.2017
Der wohl wichtigste Evolutionsschritt auf dem Weg zum Menschen war die Entwicklung der Greifhand. Das hat lange gedauert. Der vor gut drei Millionen Jahren lebende Australopithecus africanus und einige andere Vormenschen-Arten konnten mit ihren Händen schon bereits präzise greifen und waren somit in der Lage, Steine als Werkzeuge zu benutzen. Lange vorher waren die Affen mit vier Fingern und einem Daumen ausgestattet worden. Schimpansen gelten als die Handwerker unter den Affen. Einfallsreichtum, selbst fabrizierte Werkzeuge, und geschickter Gebrauch ihrer Hände verschaffen ihnen schmackhafte Nahrung, wie das Herz des Palmwedels, Nusskerne, Termiten und vieles mehr.
Die Fähigkeit zum Schreiben von Symbolen auf Papier oder auch das zweifingrige Zoomen auf dem Smartphone-Bildschirm verdankt der Mensch allein seiner hochentwickelten Hand. Jedes Kind kann das. Die Frage ist jedoch: wie ist das beim Roboter?
Das Ergreifen von Gegenständen ist ein elementarer Vorgang in den riesigen Warenlagern der Firma Amazon. Dort arbeiten die Picker und die Packer. Die Picker holen die für einen Auftrag geforderten Gegenstände aus den Regalen, die Packer fassen diese Gegenstände zusammen in Paketen für die Kunden.
Picker und Packer sind Menschen, die tagaus-tagein ihrer eintönigen Arbeit des Einsammelns und Packens nachgehen. Sollte man nicht eher Roboter einsetzen, um die Menschen zu erlösen?
Man sollte meinen, das sei ja nicht so schwierig. Überall in der Welt arbeiten Roboter in den Fertigungsstraßen und natürlich auch in Warenlagern. Allein Amazon setzt über 100.000 Roboter weltweit ein, vorzugsweise zum Stapeln und Befördern von Behältern. Diese "Roboter" genannten Automaten sind allerdings strikt programmiert, das heißt, sie agieren in ihren spezifischen Sitationen genauso, wie von den Programmierern vorgesehen. Doch das freie "Picking" und "Packing" sind Vorgänge, die noch kein Roboter beherrscht. Woran liegt das?
Wie immer ist der Mensch das Maß aller Dinge. Er sieht Gegenstände in seinem Greifbereich dreidimensional, erkennt sie, findet den gewünschten Artikel, und ergreift diesen routiniert. Das alles ohne überhaupt darüber nachzudenken.
Die Maschine dagegen benötigt ein sehr ausgefeiltes Mustererkennungsverfahren, um anhand eines vorgegebenen 3D-Datensatzes eines Artikels genau diesen in einem ungeordneten Haufen verschiedenster Gegenstände zu entdecken. Dann muss sie in der Lage sein, den Artikel aufzugreifen, wobei gleich mehrere schwierige Aspekte zu bewältigen sind. Wo fasst man den Artikel an, mit welcher Kraft ist zuzupacken, darf der Artikel kollidieren mit anderen, ohne Schaden zu nehmen, wie legt man den Artikel wieder ab, gibt es Ausrichtungspräferenzen? Was tun, wenn der Artikel "aus der Hand rutscht"?
Die Aufgabe ist so komplex, dass sie rein programmatisch nicht gelöst werden kann. Es muss also ein Lernvorgang stattfinden. Im "Automation Lab" der University of California (Berkeley) wird daran gearbeitet. Zunächst wurde die Mustererkennung implementiert. Dazu erhielt der Computer tausende von 3D-Bildvorlagen als Muster. Anhand der "Feature Extraction", der Merkmalsidentifikation, war das Programm bald in der Lage, unbekannte neue Bilder entsprechenden Mustern zuzuordnen. So ist der Algorithmus zum Beispiel nach dem "Ansehen", d.h. Erfassen sehr vieler Bilder von Hunden in der Lage, Hunde generell zu erkennen, also auch solche, die in der Lernphase nicht dabei waren. Der Computer weiß dann eben, wie ein Hund aussieht.
Möglich ist dies durch Algorithmen mit der Lernfähigkeit neuronaler Netze. Die Forscher in Berkeley erstellten eine Datenbank aus über 7 Millionen 3D-Modellen von Gegenständen aller Art. Sie gaben anhand von typischen Formen die bevorzugte Greifprozedur vor, zum Beipiel bei zylindrischen Objekten wie einer Zahnpastatube die mittige, also nicht endständige Umschließung. Der Algorithmus ist in der Lage, solche exemplarische Vorgaben auf alle Objekte in der Datenbank aufgrund von Ähnlichkeiten zu übertragen. (Zum Beispiel auf den kleinen Spielzeug-Haifisch im Bild, [2]).
Mit solchen Fähigkeiten ausgestattet kann der Berkeley-Roboterarm mit Hilfe seiner einfach gestalteten zweifingrigen Hand schon sehr sicher jeden genannten Gegenstand aus einem Haufen verschiedenster Objekte herausfischen. Das ist die Grundvoraussetzung für das "Picking".
Um die Forschung voranzutreiben veranstaltet die Firma Amazon regelmäßig den "Amazon Picking Challenge" - Wettbewerb [6]. Typischerweise müssen die Wissenschaftsteams mit ihren Robotern zwei Herausforderungen lösen, wie es sie auch in der realen Welt gibt. Die erste Aufgabe verlangt von den Robotern, dass sie Produkte aus einem Regal holen und in einen Behälter legen. Bei der zweiten Aufgabe geht es um den umgekehrten Prozess. Die Roboter müssen Gegenstände aus einem Behälter entnehmen und in einem Regal einlagern.
Früher oder später werden die menschlichen Picker bei Amazon durch Roboter ersetzt. Das Ziel ist generell das vollautomatisierte Warenhaus bzw. Logistikzentrum. Einige wenige Menschen überwachen dort die Prozesse. Picking und Packing - die sichere Beherrschung dieser beiden Arbeitsvorgänge ist der Schlüssel für den flächendeckenden Einsatz der neuen Robotergenerationen.
In der Quintessenz zeigt sich, dass es nicht das Denken ist, was den Computer/Roboter auf die Stufe des Menschen hebt, sondern das Greifen. Wie ein Mensch-Baby werden die zukünftigen kleinen Roboterbabies schon wenige Wochen nach ihrer Herstellung (Geburt) beginnen, nach Rasseln und Tröten zu greifen. Denn auch da gilt: was Roby nicht lernt, lernt Robo nimmermehr.
Hinweis:
Neuronale-Netzwerke-Algorithmen werden auch im Programm AlphaGo verwendet.
Quellen:
[1] Affen und Werkzeuge: https://www.welt.de/wissenschaft/article7397776/Affen-erfanden-Werkzeuge-lange-vor-den-Menschen.html
[2] Roboter lernen greifen: https://www.nytimes.com/2017/09/10/business/warehouse-robots-learning.html?rref=collection%2Fsectioncollection%2Ftechnology&action=click&contentCollection=technology®ion=rank&module=package&version=highlights&contentPlacement=2&pgtype=sectionfront
[3] Neural Networks: https://www.wired.com/2015/04/jeff-dean/
[4] Amazon: https://www.nytimes.com/2017/09/10/technology/amazon-robots-workers.html?action=click&contentCollection=Business%20Day&module=RelatedCoverage®ion=Marginalia&pgtype=article
[5] Neuronales Netz: https://de.wikipedia.org/wiki/Künstliches_neuronales_Netz
[6] Amazon Picking Challenge: http://www.amazon-logistikblog.de/category/alle-themen/innovation/