Internet Babies

23.7.2019

Websites, die etwas verkaufen möchten, versuchen alles, den Interessenten zum Kauf zu überreden. Wenn der Besucher doch nicht kauft, soll er wenigstens seine Emailadresse angeben, damit er in Zukunft angeschrieben werden kann.

So weit ist alles völlig normal.

Es gibt jedoch Kritik und die Besorgnis, dass Internet Besucher nicht ganz verstehen, dass ihre Entscheidungen an allen Ecken und Enden manipuliert werden (sollen). Die Opfer sind die Internet Babies, die nicht gut lesen können und die meistens nicht verstehen, was sie lesen, und darüber hinaus nicht in der Lage sind, Entscheidungen aufgrund der Sachlage zu treffen, die sie direkt vor Augen haben.

Man muss die Menschen also schützen. In keinem Land wird der Konsumentenschutz so auf die Spitze getrieben wie in den USA, nicht zuletzt von den auf Schutz spezialisierten Rechtsanwaltsfirmen. Unterstützt werden sie von Untersuchungen von Forschern der Princeton University und der University of Chicago. Diese haben per Crawl nach dem Auftreten sogenannter Dark Patterns (Finstere Gebaren) auf mehr als 11.000 kommerziellen Webseiten gesucht und in 1.818 Fällen gefunden.

Was ist nun dieses Finstere Gebaren, das Millionen von meist amerikanischen Internetnutzern bedroht?

Das fängt zum Beispiel mit dem Vortäuschen falscher Tatsachen an. Thredup, eine Bekleidungs-Website für weibliche Kunden, behauptet, dass "Abigail aus Raleigh" gerade 274 Dollar beim Kauf des Charter Club Kleids gespart hat. Während Internet Babies glauben, dass Abigail sagenhafte 274 Dollar gespart hat, fragten die Forscher natürlich nach bei Thredup. Nein, die Namen und Orte von Kundinnen sind zu ihrem Schutz verändert worden, sagt Thredup. Tatsächlich aber werden die Daten von einem Computerprogramm zufällig erzeugt. Das fanden die Forscher heraus, nachdem sie Thredup einen Monat lang beobachtet hatten. Dabei wurden100 Namen und 59 Orte auf 82 Produkte angewandt, immer in zufälligen Kombinationen.

Thredup Website mit Kundennachrichten

 

Eine weiteres Finsteres Gebaren ist es, Alternativen so darzustellen, dass sich die Eine als die einzig Mögliche gibt während die Zweite mausgrau nicht wählbar erscheint. Solche Menues werden bevorzugt bei der Abfrage der Zustimmung zum Emailversand eingesetzt. Das Bild zeigt ein Beispiel mit ausgegrauter NO-Box.

Oft eingesetzt wird das "Confirmshaming" (Zustimmmungsscham). Dabei wird eine psychologische Hemmschwelle aufgebaut, um zu verhindern dass der Kunde einen bestimmten Knopf drückt. Um auf die nächste Seite zu gelangen, ohne eine der herabgestzten Waren zum Kauf ausgewählt zu haben, muss er erst einmal bestätigen, dass er ganz gerne den vollen Preis zahlt, ironisch verpackt in der Feststellung "No thanks! I’d rather join the ‘Pay Full Price for Things’ club".

Confirmshaming Beispiel

Confirmshaming funktioniert auch gut für den Emailversand. Hier wird das Internet Baby konfrontiert mit einer Checkbox neben der Ansage "Sehr gerne schicken wir Ihnen Emails mit neuen Angeboten und den neuen Produkten von New Balance Athletics , ...". Danach kommt noch eine Bemerkung, aber der Satz ist sowieso zu lang zum Lesen und der Schock zu groß. Kein Internet Baby wird die Checkbox clicken aus Angst, viele Emails zu bekommen.

Weitere Finstere Gebaren sind:

Einkaufswagen ungewollt gefüllt (Sneak into Basket)
Während der Einkaufstour schleicht sich unbemerkt ein nicht bewusst ausgewähltes Produkt in den Einkaufswagen.

Lockfalle (Roach Motel)
Man gerät in eine Situation, aus der man nicht mehr ohne weiteres herauskommt, z.B. vor der Wahl stehend, ein Premium Abonnement abzuschließen.

Persönliche Daten preisgeben (Privacy Zuckering)
Man wird dazu gebracht, mehr persönliche Daten anzugeben, als in der gegebenen Situation erforderlich sind. Die englische Bezeichnung orientiert sch an Zuckerbergs Facebook.

Preisvergleich verhindert (Price Comparison Prevention)
Die Website gestaltet es schwierig, einen Artikelpreis mit einem anderen zu vergleichen.

Ablenkung (Misdirection)
Die Aufmerksamkeit des Besuchers wird auf Dinge gelenkt, die ihn von der eigentlichen Besuchsabsicht ablenken.

Versteckte Kosten (Hidden Costs)
Erst an der Kasse stellt man fest, dass unerwartete Kosten aufaddiert wurden (Steuern, Lieferkosten, usw.)

Anlocken & Umschalten (Bait and Switch)
Eine Auswahl bringt einen nicht zum gewünschten Thema, sondern auf ein völlig anderes Gebiet.

Getarnte Anzeigen (Disguised Ads)
Werbung versteckt sich in Inhalten oder hinter Navigationselementen.

Erzwungene Weiterführung (Forced Continuity)
Typischerweise bei Abonnements: es wird einem schwer gemacht, ein Abonnement zu kündigen.

Spam an Freunde (Friend Spam)
Emailadressen oder Zutritt zu Gruppen in sozialen Medien werden abgefragt, um dann Spam an alle befreundeten Kontakte zu schicken.

Das alles ist so schlimm, dass die amerikanische Legislative sich schon mit der Regulierung der "Tech Companies" beschäftigt, so die Senatoren Deb Fischer (Nebraska) und Mark Warner (Virginia). Etliche der Finsteren Gebaren sollen als illegal deklariert werden und die Federal Trade Commission soll eingreifen können.

Man könnte ja der Meinung sein, dass Finstere Gebaren nicht lebensbedrohend sind, sondern bestenfalls lästig. Und dass jeder mit den eigenen Augen die Sachverhalte überprüfen kann und sich dann erst entscheidet. Aber für die meist amerikanischen Internet Babies ist das nicht möglich und deshalb müssen sie staatlich geschützt werden. Es mag solche Internet Babies auch in Deutschland geben, Grund genug für die Regulierer in unserem Lande, endlich gegen die meist amerikanischen Anbieter ins Feld zu ziehen.

Quellen:

https://www.nytimes.com/2019/06/24/technology/e-commerce-dark-patterns-psychology.html?auth=login-email&login=email
https://www.darkpatterns.org
https://webtransparency.cs.princeton.edu/dark-patterns/
https://uxdesign.cc/the-12-types-of-dark-patterns-and-why-you-should-care-38a7b584777b
https://www.shopify.com/partners/blog/dark-patterns