The Facebook Graveyard

20.5.2016

Unter den mehr als eine Milliarde registrierter Facebook-Mitglieder befinden sich mehr als 30 Millionen Tote. Jeden Tag sterben rund 8000 Facebook-Mitglieder. Es ist abzusehen, dass eines Tages die Zahl der toten Facebook-Mitglieder die der lebenden Facebook-Mitglieder übersteigt.

Man spricht dann vom Facebook-Massengrab (the digital Facebook graveyard).

Wenn ein Facebook-Mitglied ins Jenseits gegangen ist, wird sein Profil mit dem Begriff "memorialised" gekennzeichnet. Wenn die Zentrale im Menlo Park (Calif. USA) vom Tod eines seiner User nichts mitbekommt, geschieht dies allerdings nicht. Der Besitzer oder die Besitzerin einer Facebookseite lebt dann weiter. Oftmals beschicken die Familienmitglieder die Seite des Verstorbenen mit neuen Nachrichten. Alle User, die mit dem Dahingegangenen verbunden sind, erhalten so die aktuellen News aus seinem vermeintlichen Leben.

Der Begriff "Unsterblichkeit" impliziert ein aktives, produktives Dasein. Ganz anders als bei den verflossenen Künstlern, deren Werke vielleicht unsterblich sind, die selbst jedoch keinerlei Kunstwerke mehr herstellen. Man muss hier vorsichtig sein. Es wird daran gearbeitet, Filmgrößen nach ihrem Tod wiederzubeleben, auf der filmischen Ebene, durch künstliche Gestalten mit allen Merkmalen des früheren Stars. Auf die Ego-Avatare kommen wir weiter unten zu sprechen.

Es gibt Dienste wie ETERNIME (eterni.me), die Erinnerungen an einen Menschen konservieren. Also Photos, Filme, Briefe, Mails, Audios - und daraus einen Avatar fabrizieren, der auf bestimmte Fragen antwortet und Material aus seinem Leben anbietet. Auf die Frage "Wie war es denn in deinem Leben so, erzähl doch mal" antwortet Onkel Heinrich in Gestalt seines Avatars "Oh, das war schön. Sieh dir doch mal diesen Film an". Es läuft eine Videosequenz, in der Onkel Heinrichs Motorradtrip nach Irland zu sehen ist.

Zwischenbemerkung: Natürlich sind auch die Facebook-Members unsterblich auf ihren Accounts, zumindest solange Mark Zuckerberg noch Gefallen findet an seinem Hobby "Facebook".

The Facebook Graveyard

Fahren wir fort mit Onkel Heinrich. Wenngleich er inzwischen zu Staub zerfallen ist, lebt doch seine Persönlichkeit und alles, was er einmal war, weiter. Der Avatar Heinrich sieht aus wie sein Urbild, bewegt sich so und spricht wie sein Selbst. Tausende von Software-Ingenieuren arbeiten an der Programmierung von "Mindclones". Ihre Ergebnisse sind "Mindware". Im Prinzip geht es darum, "Cyberconsciousness" zu schaffen.

Der Begriff "Cyber-Bewußtsein" ist natürlich zu hoch gegriffen. Bevor eine Maschine, das heißt ein Computer, Bewußtsein erlangt, wird noch viel Zeit vergehen (falls das überhaupt denkbar und jemals möglich sein wird). Wobei man vermeintliches Bewußtsein nach außen auch simulieren kann. Dennoch ist die Erschaffung von Mindclones mit Hilfe von Mindware eine großartige Leistung. Dazu gehört das Modelieren eines individellen Verhaltens - und das lediglich auf der Basis von überliefertem Material und von Zeugenaussagen.

Martine Rothblatt

Das Wesen des virtuellen Menschen hat Martine Rothblatt sehr schön in ihrem Buch "Virtually Human" beschrieben, siehe jedoch die kritischen Anmerkungen im Nachtrag unten.

Wie leicht sich der Mensch täuschen lässt, wenn er glaubt, eine Unterhaltung mit einem anderen Menschen zu führen, demonstrierte vor 50 Jahren Joseph Weizenbaum mit seinem Computerprogramm ELIZA. Dieses simuliert einen Psychiater, der sich mit einem Patienten unterhält. Das Gespräch bleibt recht oberflächlich. ELIZA reagiert auf Schlüsselworte in durchaus menschlicher Manier und führt eine Konversation nach dem Muster:

Patient: "„Ich habe ein Problem mit meinem Vater.“ ELIZA: „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie!“

Versuchsteilnehmern war es offensichtlich nicht allzu wichtig, ob der Antwortende am anderen Ende der Leitung wirklich ein Mensch war oder ein Computerprogramm. Es kam nur darauf an, dass die Antworten und Fragen „menschlich“ erschienen. Dies ist der sogenannte Eliza-Effekt, der heute bei vielen Chatbots ausgenutzt wird.

Ein Bot (nicht zu verwechseln mit dem virtuellen Menschen nach Rothblatt) ist heute vielfach eingebaut in Funktions-Apps für Smartphones und vollbringt Hilfsdienste wie Auskünfte zu geben, Hotel- oder Konzertreservationen durchzuführen und anderes. Der Bot ist ganz einfach ein "personal digital assistant that knows you, knows about your world,” a bot “helping you with your everyday tasks” laut Satya Nadella, Microsoft CEO. Immerhin werden diese Bots als intelligent* bezeichnet, kein Wunder angesichts der Tatsache, dass selbst (Computer-)Mäuse heute intelligent sind.

Interessant ist, dass bekannte Bots wie Operator, Magic, Fin hybride Bot-Human Entitäten sind, das heißt, hinter dem Bot stehen Menschen, die die wesentlichen Aufgaben übernehmen, wie zum Beispiel eine Transaktion oder eine Bestellung auszuführen. Somit ist der Bot nur das Interface für konventionelle Prozeduren. Bei Facebook übernimmt der Messenger Concierge Bot M allerlei Aufgaben, allerdings ebenfalls gestützt auf die Human Operators im Hintergrund.

tot

Doch Menlo Park arbeitet beharrlich daran, den vielen Toten im Facebook-Reich Ego-Avatare zur Seite zu stellen. Sie beleben die memorialized Accounts und machen sie dadurch untot. Sie geben dem Verblichenen wieder ein Gesicht. Auch kann man mit ihm reden. Selbst die Zukunft ist wieder offen. Fragen nach seinen Plänen beantwortet Onkel Heinrich wahrheitsgemäß, denn er vergisst nichts und kann später jederzeit Rechenschaft ablegen über die Ausführung eben dieser Pläne. Das riesige Facebook-Reservoir von Bildern und Filmclips hilft dabei.

Man kann sich gut vorstellen, wie es sein wird, wenn eines Tages alle Facebook-Mitglieder verstorben sind. Eine Milliarde Ego-Avatare bevölkern das Facebook-Reich. Sie unterhalten sich untereinander, sie besuchen sich und sie feiern Parties. Es kommt der Tag, an dem dem Menschen der Zugang verwehrt wird. Dann sind die Toten endlich ganz unter sich - hinter dem f.


*Zum Begriff "intelligent" empfehlen wir den Aufsatz <Mensch_5.0> mit Ausführungen zum "Intelligenten Haus".


Nachtrag:

M.J. Edelman schreibt in einer Amazon-Customer-Review des Buches "Virtually Human":
Rothblatt is a believer- if that's not too strong a word- in Ray Kurzweill's notion of the "Singularity"- the point at which machine intelligence will surpass that of humans, and evolution and the destiny of mankind will be forever changed. Before we reach that point, Rothblatt believes we will reach a point in the very near future in which human minds can be embodied in artificial machines, creating "mind clones." This is a very clever notion, as it sidesteps one of the biggest problems in AI: How do you go from representing propositions in a machine (trivially easy) to embodying an actual conscious mind? Simple, says Rothblatt. You start with an already-existing mind and just transplant it into the machine! This is of course not a trivial thing, but Rothblatt believes that (1) it is possible to create a machine with consciousness (2) we are very close to being able to do that and (3) such a "mind clone" would have far reaching societal and legal implications.
Doch dann:
A major problem with the way she addresses the question is that she never actually defines consciousness, or sets a benchmark for what level of complexity and awareness would be necessary to call an entity conscious.

Quellen:
http://www.bbc.com/future/story/20160313-the-unstoppable-rise-of-the-facebook-dead
http://www.nytimes.com/2016/04/24/magazine/what-chatbots-reveal-about-our-own-shortcomings.html?ref=technology&_r=0
https://de.wikipedia.org/wiki/ELIZA
https://de.wikipedia.org/wiki/Chatbot