Wie früher

1.11.2017

Die meisten Menschen bevorzugen Altbekanntes gegenüber Neuem. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie am Handgelenk eine elektronische Uhr mit Analog-Ziffernblatt tragen? Der Wunschtraum der Politiker, die "Digitalisierung Deutschlands", wird so ein Traum bleiben.

Die veraltete analoge Uhr hat zumindest eine Funktion: die Zeit anzuzeigen. Es gibt aber eine Vielzahl von Produkten, die Merkmale aus alten Zeiten haben, die heute aber ohne Sinn und Funktion sind.

Dazu gehören zum Beispiel die Nieten an den Levi's Jeans. Als die Frau eines Holzfällers im Jahr 1872 die ersten Jeans aus grobem Stoff für ihren Mann beim Schneider Jacob Davis in Auftrag gab, fügte dieser an den kritischen Belastungsstellen Nieten zur Verstärkung ein. Nieten wurden sonst an den Verbindungen von Riemen und Pferdedecken eingesetzt. Natürlich braucht heutzutage keine Jeans mehr Nieten. Übrigens auch nicht die kleine Hüfttasche rechts zur Unterbringung der Taschenuhr. Trotzdem muss eine Jeans auch heute noch wie aus dem Zeitalter der verwegenen Cowboys im Mittleren Westen aussehen.

Rolodex Rollkartei

Interessant ist die Antwort auf die Frage, warum Kreditkarten die bekannte einheitliche Form und Größe haben. Eine Verordnung der EU-Kommission für Design oder gar eine UN-Resolution zur Reglementierung des Kreditwesens? Weit gefehlt! Im Jahr 1949 speiste Frank McNamara mit Kunden im Majors Cabin Grill Steak House in New York. Danach konnte er nicht bezahlen, weil er seine Brieftasche zu Hause gelassen hatte. Er übergab dem Chef jedoch eine unterschriebene Erklärung, dass er die Rechnung später bezahlen werde. Ein Jahr darauf erschien McNamara wieder im Steak House und beglich seine Schulden mit einer kleinen Karte aus dünnem Karton mit der Aufschrift "Diners Card Club".

Das war die erste Verwendung einer Kreditkarte. Auffällig waren die starken Rundungen der oberen Ecken. Nachforschungen ergaben, dass die ersten 2000 Diners Club Karten aus Rolodex-Karten hergestellt worden waren. Eine Rolodex Rollkartei beinhaltet eine Menge dieser Karten, die an den beiden herausstehenden Ecken abgerundet sind, um das Einknicken beim Blättern zu vermeiden. Heute sind Kreditkarten aus Kunststoff und die Ecken sind alle gleich, aber die Form und die Abmessungen sind identisch mit den Rolodexkarten im Jahr 1949.

Ein weiteres schönes Beispiel für den "Wie früher" Wiedererkennungseffekt sind Elektroautos mit Kühlergrill. Was wie ein Design-Missgriff aussieht, ist der Versuch, die Assoziation "Hinter einem großen Kühlergrill steckt ein mächtiger Motor" zu erwecken. Der neue Audi e-tron bleckt seine Zähne. Dahinter stecken drei Elektroantriebe mit zusammen 435 PS. VW verzichtet auf den Grill und setzt auf neues E-Auto-Design.

Auch im Flugzeug-Cockpit dominierte bis in die jüngste Vergangenheit das ursprüngliche Rund-Instrumentendesign. Selbst im modernen Cockpit finden sich noch (elektronische) Rundinstrumente wie künstlicher Horizont und Höhenmesser.

Die Computertastatur ist so uralt, man glaubt es kaum. Anfang der 1870er entwarf Editor Christopher Latham Sholes eine Schreibmaschinentastatur für das Schreiben von Zeitungsartikeln. Die Anordnung der Tasten ist bis heute geblieben. Für Sholes war es wichtig, das Verklemmen von Buchstabenhebeln bei schneller Betätigung direkt benachbarter Tasten zu vermeiden. Dazu setzte er übliche Buchstabenfolgen wie "S" und "T" oder auch "E" und "I" nicht nebeneinander sondern gut getrennt voneinander. Dadurch wurde das Tippen langsamer und das Verklemmen seltener. So entstand die QWERTZ (oder auch QWERTY) Tastatur, die uns bis heute plagt. Gibt es mehr Frust, als wenn man versehentlich die Feststelltaste (Caps Lock) gedrückt hat und einen ganzen Satz in Großbuchstaben schreibt? Oh nein! Die logische Anordnung von Buchstaben auf einer Tastatur wäre die alphabetische Reihenfolge. Das wäre einfach für den Zweifingertipper von heute.

Wie sehr der Mensch an äußerem Aussehen hängt, konnte man lange Zeit anhand des Icon-Designs bei Computer-UIs (User Interfaces) feststellen. Beim Design von iOS hatte Apple bislang stark auf skeuomorphische“ Design gesetzt. Das können weitgehend harmlose Kleinigkeiten sein wie ein Glanzeffekt, aber auch Apps wie der Kalender, der nun sowohl unter iOS als auch unter OS X im Lederlook mit Steppnähten daherkommt oder das Adressbuch, das aussieht wie ein aufgeschlagenes Adressbuch.

Radio in skeuomorphistischem Design

Skeuomorphismus ist eine Stilrichtung hauptsächlich im Screen-Design, bei der Objekte in ihrer Gestaltung ein anderes Material oder eine Form eines älteren, vertrauten Gegenstandes nachahmen, ohne dass diese durch ihre Funktion begründet ist. Wenn komplexere Geräte, wie zum Beispiel Radios oder Synthesizer durch Computerprogramme ersetzt werden, sieht die Bedienschnittstelle auf dem Bildschim immer noch aus wie das gute alte Radio oder der Synthesizer.

Andere Skeuomorphismen sind die Karteikarte als Symbol für einen Ordner in einem Dateiverwaltungsprogramm (Explorer, Finder) und der Mülleimer als Symbol des Löschens (wobei die Datei tatsächlich im virtuellen Papierkorb landet).

Vor einigen Jahren begann jedoch das Zeitalter des Flat Designs. Die Icons verloren Farbverläufe und Schatten, die eine Lichtquelle simulieren, und wurden schlichtweg zweidimensional. Microsoft begann damit und alle folgten nach. Die meisten Smartphones folgen diesem Stil, bieten aber auch alternative Designs je nach Geschmack des Users.

(© GraphBerry)

Flach ist scheinbar zeitlos und elegant zugleich. Mit flachem Design wird ganz klar vermittelt, dass es Geräte, die man in die Hand nimmt oder an denen man dreht und die man drückt, nicht mehr gibt. Der Computer macht jetzt alles. Wenn man einen Mixer an ihn anschließt, macht er auch Smoothies.

Flacher Soldat

So gesehen sollte man selbst flach sein. Der ulimative Ratgeber rät dazu, sich zu verflachen. Bei dieser Gelegenheit kann man sich flaches Denken aneignen. Das hilft dabei, die Welt, die sich auf einem Flachbildschirm darstellt, besser zu verstehen.

Nachtrag 30.5.2018

Die QWERTY-Tastatur stammt aus dem vorvorigen Jahrhundert. Und immer noch plagen sich die Leute damit. Längst gibt es eindeutige Meinungen zu dieser Dino-Tastatur. Alec Longstreth, a cartoonist who now lives in New Mexico, sagt zum Beispiel: “Qwerty is a pile of garbage from the 1800s and you shouldn’t use it. It’s bad for your hands. QWERTY is like wearing a pair of running shoes that are made of concrete”.

Immer wieder gibt es Ansätze, bessere Tastaturen zu entwickeln. Doch keins der neuen Designs konnte sich durchsetzen.

Quelle:
http://www.bbc.com/capital/story/20180521-why-we-cant-give-up-this-odd-way-of-typing