Emma Dobigny

14.4.2017

Edgar Degas "Portrait of a Woman"

Emma Dobigny hat sich lange genug versteckt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts bestand der Verdacht, dass sie sich unter dem "Portrait of a Woman" von Edgar Degas aufhält. Man versuchte damals, sie mit Röntgenstrahlen hervorzuholen, was aber misslang, da diese Art der Durchleuchtung nur auf metallische Komponenten der Farbpigmente reagiert, und somit nur ein sehr grobes Muster produzierte.

Emma posierte in den Jahren 1869 und 1870 für Degas, aber auch für andere Maler. Jahre später übermalte Degas sein Modell Emma und schuf das "Portrait of a Woman", so wie es heute in der National Gallery of Victoria, Australia, zu sehen ist.

Seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeichnen sich irritierende Abrisse eines Bildes unter dem Oberflächen-Portrait ab, verursacht durch die dünner werdende Ölschicht. Irritierend, weil lange nicht ersichtlich war, dass Degas die Leinwand auf den Kopf gestellt hatte, um Emma zu übermalen. Im Lauf der Jahre wurden verschiedene Durchleuchtungs- und Bestrahlungstechniken angewandt, jedoch mit minimalen Erfolgen. Es gelang nicht. die die gesamte Fläche der Emma-Schicht in all ihren Strukturen und Farbtönen akkurat sichtbar werden zu lassen.

Emma Dobigny ist wieder da

Erst heute, nach 147 Jahren, ist es gelungen Emma ans Licht der Welt zurückzuholen. Eine Forschergruppe der National Gallery of Victoria um Dr. David Thurrowgood sowie Dr. Daryl Howard vom Australian Synchrotron setzten dafür eine neue Technik ein, und zwar die "non-invasive, rapid, high definition X-ray-µCT fluorescence (XRF) elemental mapping technique" mit einer räumlichen Auflösung von nur 60 μm. Damit konnten pigmentspezifische Schichten des Bildes extrahiert und zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. Dieses zunächst rein mathematische Gebilde erhielt eine programmierte Farbrekonstruktion aufgrund der für bestimmte chemische Elemente (Arsen, Kupfer, Schwefel, Zink, Kobalt, Quecksilber, Eisenoxid, Blei, Chrom, Nickel, Mangan, Kalzium u.a.) spezifischen Farben.

Dank diesem hohen Aufwand kann die Welt nun die 18-jährige Emma Dobigny bewundern, die Edgar Degas verschwinden ließ - für immer, wie er sicherlich glaubte. Emma wurde als Marie Emma Thuilleux im Jahr 1851 in Montmacq, Frankreich geboren. Sie saß Modell auch für Pierre Puvis de Chavannes und Camille Corot. Sie starb 1925 in Paris.

Viele Künstler jener Zeit übermalten ihre Bilder, zum Beispiel findet sich bei Van Goghs "Patch of Grass" Gemälde ein Frauenportrait unter der Oberfläche. Das Motiv ist oft unklar, aber es könnte die Absicht sein, Leinwand zu sparen, oder ein weniger gelungenes Gemälde verschwinden zu lassen.

"Portrait of a Woman" wird bestrahlt
Messanordnung Schema

So gesehen ist fast jedes alte Gemälde ein potentieller "Übermal-Kandidat". Wenn Sie sich einmal zuhause umschauen, hängt bestimmt irgendwo ein altes, seit Generationen vererbtes Bild an der Wand, das Sie bisher als "Ölschinken" bezeichnet haben, nur weil es einen röhrenden Hirsch im Wald zeigt. Ganz natürlich ist, dass Sie sich jetzt fragen, was wohl darunter steckt. Vermutlich besitzen Sie kein Synchrotron, so dass Sie mit Hausmitteln arbeiten müssen. Nehmen Sie ein Skalpell und legen Sie feinste Museums-Baumwollhandschuhe (weiß, ohne Noppen) an. Legen Sie das wertvolle Gemälde auf einen Tisch und beginnen Sie an einer unauffälligen Stelle des Bildes mit der Abtragung der obersten Schicht, zunächst auf kleiner Fläche. Es mag sein, dass die freigelegte Schicht andersfarbig ist. Nun gibt zwei Theorien: der Künstler hat diese Farbe korrigiert, indem er sie übermalt hat, oder es handelt sich um ein anderes Bild. Die zweite Theorie ist die Interessantere. Also weiterschaben. Falls Sie aber keine anderes Bild finden, haben Sie das Originalbild ziemlich ramponiert. Anhand eines Photos, das Sie selbstverständlich vor der Arbeit angefertigt haben, sollten Sie dann die Originalfarben mit dem Pinsel wieder auftragen. Und das ist die eigentliche Herausforderung, denn Ihr Hirsch sollte danach wirklich wieder wie ein König der Wälder aussehen.

Neugier ist menschlich. Geheimnisse erforschen ebenso. Doch wird sich nicht mancher Künstler in seinem Grabe grämen ob der Tatsache, dass alle Welt ein Bild zu sehen bekommt, das er damals nur für sich alleine malte und dann, sehr zufrieden, "löschte" für alle Ewigkeit?

Quellen:
http://www.bbc.com/news/science-environment-36970024
http://www.nature.com/articles/srep29594 (der wissenschaftliche Bericht)
http://www.synchrotron.org.au/aussyncbeamlines/x-ray-fluorescence-microscopy/techniques-available

Anhang:

Synchrotron:1: electron gun / 2: linac / 3:booster ring /
4: storage ring / 5: beamline / 6: end station

Das Australische Synchrotron nimmt die Fläche eines ganzen Fußballfeldes ein. Elektronen werden auf 99,9997% der Lichtgeschwindigkeit (rund 300.000km/sec) beschleunigt. Bei abruptem, magnetisch induzierten Richtungswechsel emittieren diese hochenergetisches Licht, das auf Wellenlängen von Infrarot bis Röntgenstrahlung eingestellt werden kann.

http://www.synchrotron.org.au/synchrotron-science/what-is-synchrotron-light