Sinnlose Erregung

Eier

Kathrin Spoerr
18.8.2017

Eier sind seit ein paar Tagen die Topnachricht im Fernsehen und in den Zeitungen, auch in dieser. Ein Putzmittel wurde in vielen Eiern nachgewiesen. Es trägt den Namen Fipronil. Dieses Wort klingt so, als würden wir bald alle sterben.

Ich esse sehr gern Eier und ich will natürlich keine Eier essen, die von Hühnern gelegt wurden, die Putzmittel fressen. Ich müsste also eigentlich hochalarmiert sein, innerlich und äußerlich. Sämtliche Eierspeisen boykottieren zum Beispiel und die Chargennummern meiner Kühlschrankeier checken und dann wegschmeißen, wegschmeißen, wegschmeißen.

Mach ich aber nicht. Ich schmeiße nichts weg, und ich bin nicht alarmiert. Ich sitze vor dem Fernseher und warte gähnend darauf, dass sie was Interessantes melden, nach den Eiern. Ich sitze in den Redaktionskonferenzen, wo die Kollegen darüber brüten, was man jetzt alles machen muss: Mit Betroffenen reden. Mit Geschädigten reden. Mit Empörten reden. Mit Experten reden. Mit Verängstigten reden.

Medial betrachtet ist so ein Skandal eben einfach eine feine Sache, und man muss auch nicht so tun, als würde man sich nicht über hohe Auflage und Einschaltquoten freuen. Medial ist es wichtig, jeden Tag etwas zu finden, was die Menschen alarmiert und besorgt hält, und zugleich ist das unendlich zäh und mühsam, weil die meisten meiner Kollegen eiermäßig genauso gelangweilt sind wie ich - und unsere Leser auch.

Ich will es nicht klein reden. Es ist nicht schön, dass 1. Putzmittel im Ei ist, dass 2. uns das kalt lässt und dass 3. die Aufregung darüber nichts anderes ist, als eine schlecht getarnte Pose. Aber zu wundern braucht sich darüber auch niemand.

Man muss kein Weiser sein, um zu verstehen, warum 1. bis 3. ist, wie es ist. Wir sollten schon sehr oft an unseren Lebensmitteln gestorben sein. An Rinderwahn, an Ehec-Gurken, an Geflügelpest, an Pferdefleisch, an Gammelfleisch. Jedes Mal kamen die gleichen Betroffenen und Verantwortlichen und Verängstigten zu Wort. Irgendwie ist aber nie etwas passiert. Alle haben überlebt, meist blieben alle gesund. Soviel ich weiß, hat sich auch in der Herstellung der Lebensmittel nicht viel verändert. Wir Menschen essen nach wie vor sehr gern sehr viel und freuen uns, wenn alles schön billig ist. Und genau das kriegen wir.

Etwas widerwillig las ich gestern dann doch noch die Eiernachrichten. Ich erfuhr, dass ich sieben Eier essen muss, ehe irgendetwas passiert. Was genau passiert, hab ich nicht erfahren, wahrscheinlich ist es nicht dramatisch genug, um es zu berichten. Schlimmer als die Hühnerpest oder der Rinderwahn wird's schon nicht sein. Jedenfalls: Sieben Eier zu essen, ist gar nicht so leicht. Daran zu sterben, scheint geradezu unmöglich. Ich wage die Prognose, dass wir auch diesmal überleben werden und gesund bleiben.

Ich hoffe, dass ich mich nicht irre. Aber wenn, dann weiß ich, wer Schuld daran ist. Nicht nur Bauern, die ihre Hühner mit Fipronil füttern. Sondern auch die, die ihre Leser und Zuschauer mit Skandalen füttern. Die sinnlose Erregung beschwören und damit das Gegenteil erzeugen, nämlich Abstumpfung und Gleichgültigkeit. Also eigentlich: wir.

(Quelle: Die Welt, 5.8.2017, Seite 10)