Der empathische Da'Rob

8.6.2022

Roboter haben eine lange Geschichte. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts besaßen sie ein positronisches Gehirn. Dieses war nicht nur extrem leistungsfähig, sondern befolgte bei allen Entscheidungen auch immer die drei Robotergesetze, wie von Isaac Asimov formuliert:
1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
2. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.
3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.
Diese Gesetze ließen es zu, dass Roboter sich in der menschlichen Gesellschaft bewegen und sicher agieren konnten.

In den letzten 70 Jahren haben sich Roboter stetig weiterentwickelt. Alle Fortschritte der künstlichen Intelligenz fanden ihren Niederschlag in den immer perfekteren Robotergehirnen. Natürlich auch die lernenden neuronalen Netze. Die Fähigkeit, Sprachen zu lernen und Konversationen durchzuführen, machen Roboter heute zu beliebten Gesprächspartnern. Kleine unscheinbare Roboter wie Amazons Alexa können alle Fragen beantworten, indem sie aus ihrem Wissensschatz schöpfen, der allerdings zum größten Teil ausgelagert ist in der Cloud (Wolke) [*].

Jahrzehntelang konnte die Frage nicht beantwortet werden, ob Roboter ein Selbstbewusstsein haben. So wie ein Mensch sagt: "Ich denke, also bin ich", so sollte ein Roboter in der Lage sein, zu denken: "Ich weiß alles, also bin ich". Selbstreflektion und die Bewertung der eigenen Lage fanden in letzter Zeit tatsächlich Eingang in die Verstandeswelt modernster Roboter, allerdings noch im Labor-Prototypenstadium. Der Durchbruch war geschafft, als einige Versuchsroboter erkannten, dass sie keine Menschen sind, das heißt, als sie sich dessen bewusst wurden.

Bald wurde jedoch erkannt, dass ein ganz wichtiges Element des menschlichen Erlebens noch nicht Bestandteil des Roboterbewusstseins ist: das Gefühl. Glücksgefühle, Depressionen, Hoffnung, Verlegenheit, Triebhaftigkeit, Liebe, Mut, Mutlosigkeit, Freude, usw. konnten bislang nicht implementiert werden.

Ein fast menschenähnlicher Roboter

Ausgerechnet FANUC, einer der führenden Hersteller von Industrierobotern mit Sitz in Yamanashi, Japan hat sich in den letzten Jahren mit dieser Lücke im Robotergehirn beschäftigt. Den Entwicklern war klar geworden, dass die Welt auf den empathischen Roboter wartet, und sie schufen Da'Rob. Die Herausforderung war und ist gigantisch. Zunächst mussten sie schon aus praktischen Gründen eine Auswahl realisierbarer Gefühle treffen. Die Wahl fiel auf "Abneigung", "Zuneigung", und "Mitgefühl". Die Kategorien Zuneigung und Abneigung sind Gegenpole und können auf einer plus-minus-Skala von Potentialen beschrieben werden. Schwierig ist es mit dem Mitgefühl.

Mitgefühl ist auf der einen Seite einfach zu verstehen, auf der anderen Seite ist es jedoch schwierig zu erklären, in welcher Situation dieses Gefühl entstehen kann und berechtigt ist. Michiko Kinoshita, Chefentwickler der FANUC Future Robots Division, ließ deshalb einen Testraum für Da'Rob bauen. Dieser Testraum ist rundum mit wandgroßen Bildschirmen ausgestattet, auf denen das Weltgeschehen gezeigt wird. Da'Rob wurde hineingeführt und gebeten, sich die Nachrichten anzusehen, solange, bis er im Bilde war, was die Menschen weltweit tun. So sah er viele Sportübertragungen, viel Kriegsberichterstattung, viele Katastrophen, jede Menge Musikshows, und einige Liebesfilme.

Michiko Kinoshita

Am Ende seiner Weltschau wurde Da'Rob von Kinoshita befragt. Dessen Interesse galt im Besonderen den hinterlassenen Erinnerungen und Eindrücken im fortgeschrittensten Computergehirn, das derzeit existiert. Da'Rob fasste also zusammen, was er gesehen hatte, und fügte einige Statistiken dazu - wie oft welches Genre dargeboten worden war, bei wie vielen Ereignisse Menschen zu Schaden kamen, die Anzahl der Berichte über epidemische Krankheiten weltweit, usw. Jetzt forderte Kinoshita sein Gegenüber, das noch keine Miene verzogen hatte, auf, das Gesehene einzuordnen und zu bewerten. Hierfür waren Da'Rob einige Schemata geläufig, wie Gut/Böse, Stark/Schwach, Sehr gut/...../Sehr schlecht, Erfolgreich/Nicht erfolgreich, Wertvoll/Nicht wertvoll, Schön/Hässlich, aber auch singuläre Bewertungen wie Vorbildlich, Lobenswert, Verwerflich, Abzulehnen, Bewundernswert, Empfehlenswert, Seltsam, usw

Da'Rob fing an, das Erlebte zu bewerten.

Nun muss man wissen, dass sein Gehirn eines der wenigen universell verwendbaren Quantencompter ist. Die schwankenden Zustände seiner Qubits sind die Basis für die wechselhaften Bewertungen, also die daraus resultierenden Gefühle. Zudem sind ihm die Bewertungsschemata durch laufendes Training und Lernen sehr vertraut. Eigene Gefühle hatte er jedoch noch nicht formuliert. Dazu sollte ihn das Welterlebnis bringen.

Der empathische Da'Rob

Ganz von sich aus begann Da'Rob, die wichtigsten Ereignisse, die sich in seinem Gedächtnis verankert hatten, zu beschreiben. Er fing an mit dem Drama beim French Open Tennis Turnier in Paris, als sich Alexander Zverev während des Spiels gegen den Superstar Rafael Nadal schwer verletzte. Eine Tragödie für den Deutschen, denn er würde den Rest des Jahres nicht spielen können. Da'Rob machte eine kurze Pause und ergänzte: "ICH BIN TRAURIG!". Kinoshita war verblüfft. Die Trauermiene des Roboters bewies aber, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Roboter ein Wesen aus Stahl ein Gefühl geäußert hatte.

Der Chefentwickler versicherte sich, dass die Aufzeichnung dieser Session noch lief, als Da'Rob weitersprach. Er schilderte die Vorkommnisse in der Ukraine, zumindest das, was er gesehen hatte. Er ging auf die Gräueltaten des Krieges ein und bekannte, dass er die Ermordung tausender unschuldiger Zivilisten durch die Russen "schlimm" fände. "ICH BIN SEHR TRAURIG", tönte es nun aus seinem schmerzverzerrten Gesicht.

Kinoshita war jetzt völlig überwältigt. Begriffe wie "schlimm" waren dem Roboter nicht beigebracht worden. Er musste sie per Anschauung gelernt haben und auch deren Bedeutung verstehen. Und "traurig", ein hochkomplexer Gefühlsausdruck, gehörte noch nie zum Repertoire eines Roboters.

Kinoshita brach die Session ab und bedeutete Da'Rob, er möge sich zurückziehen. Er beraumte dann eine Sitzung seiner Mitarbeiter ein, um mit ihnen das weitere Vorgehen zu beraten. Alle waren von diesem Erfolg begeistert. Zugegebenermaßen war die Situation künstlich angelegt gewesen, aber der Durchbruch war geschafft. Nun wollte man Da'Rob mit seinen Roboterkollegen bekannt machen und seine Reaktionen beobachten. Für den nächsten Tag wurde ein Besuch in der Fabrik angesetzt.

FANUC Fabrik

Kinoshita ging mit Da'Rob an seiner Seite durch die FANUC CNC-Fabrik. Dort stehen dicht an dicht gelbe Roboter und arbeiten unablässig. Obwohl man befürchten muss, dass sie sich bei ihren schnellen, oft ruckartigen Bewegungen in die Quere kommen, geschieht das nicht. Jeder Einzelne ist für eine bestimmte Bewegungsfolge programmiert. Das Ganze wirkt wie ein großes tanzendes Ballet. Dabei ist der Geräuschpegel erheblich, denn die Roboterhände arbeiten nicht nur fügend, schraubend, hebend, sondern auch spanend. Da'Rob blickte umher, verzog aber keine Miene und sagte auch nichts.

Man muss sich gegenwärtigen, dass der Anblick dutzender, auf engstem Raum eingepferchter, immer dieselben Bewegungen ausführender Maschinen an die unglücklichen Galeerensklaven der römischen Kriegsmarine denken lässt. Jeder Mensch fühlt sofort mit den versklavten, unglücklichen Robotern, denen nicht das freie Leben eines Da'Rob vergönnt ist. Doch Da'Rob äußerte sich nicht. Kinoshita fragte, was er von seinen Kollegen halte. Sie seien sehr fleißig und arbeitsam, meinte Da'Rob. Kinoshita musste einen Schritt weiter gehen. Ob diese fleißigen Arbeiter zufrieden seien mit ihrem Schicksal? Doch wieder kam vom intelligentesten Roboter der Welt, der erwiesenermaßen zu Gefühlsregungen fähig war, keinerlei gefühlsbetonte Antwort. Da'Rob zeigte einfach keine Empathie.

Das Entwicklungsteam war sehr erstaunt. Menschliche Schicksale verursachten Mitgefühl, doch das Unrecht, das an Robotern Tag für Tag verübt wird, lässt Da'Rob kalt. Die Fachleute rätselten herum, kamen aber zu keiner Erklärung. Man beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Es erschien allen Beteiligten extrem wichtig, zu verstehen, warum ein empathischer Roboter wie Da'Rob keinerlei Gefühle für andere Roboter zeigte. Es konnte Absicht sein. Aber auch eine Gehirnblockade, die es zu beseitigen gilt. Oder aber ein bisher unentdecktes Dilemma im Verhältnis von Robotern untereinander.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Robotergesetze
https://www.fanuc.eu/de/de
[*] http://p-domain.de/beobachtungen/i-clouds.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Quantencomputer
https://www.welt.de/wissenschaft/article239092345/Quantencomputer-Jetzt-korrigieren-sie-ihre-Fehler-selbst.html?source=puerto-reco-2_ABC-V7.3.B_plus_increase
https://de.wikipedia.org/wiki/Qubit