LiLaLaLa y la Coronación

24.4.2020

Ich lebe in einem der interessantesten Länder der Welt - im LaLa Land. Allein die Konzentration der Film- und Musikindustrie ist erstaunlich. Zu den Warner Brothers und Walt Disney Studios kann ich zu Fuß gehen von meinem Appartement aus. Zur Zeit sind die Disney Studios geschlossen. Man munkelt, dass Disney an einem großen Projekt arbeitet.

Colt M1911

Wie immer im LaLa Land brodelt die Gerüchteküche, wenn es um Blockbusterfilme geht. Nur darum kann es sich bei dem neuen Disney-Projekt handeln. Eine typische Verhaltensweise meiner Mitmenschen ist es, sich im Vorfeld großer Ereignisse zu bewaffnen. Bekannte von mir haben sich gerade ihre Siebt-Waffe gekauft. Um nicht schutzlos dazustehen, bestellte ich meine Erst-Waffe bei MidwayUSA, und zwar einen wunderschönen Colt M1911. Die Online-Anleitung habe ich schon studiert, speziell die Wirkungsweise der 0.45 ACP Munition. Dort heißt es: "Diese Patrone ist sehr effektiv zur Selbstverteidigung, da sie eine starke Mannstopp-Wirkung hat". Es steht leider nicht darin, ob 0.45 ACP auch eine starke Virusstopp-Wirkung hat. Dass das wichtig ist, werden wir gleich sehen.

Filmstudios betreiben eine Menge Werbung vor dem Filmstart, oft schon Monate vorher. Die Spannung soll steigen. So horchte man auf, als bekannt wurde, dass große Teile des LaLa Lands abgesperrt werden sollten. Tatsächlich wurden zwei große Gebiete der Stadt zu Sperrbezirken erklärt. Jetzt herrscht dort eine Ausgangssperre für alle. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur gestattet zum Einkaufen und zur Jagd.

Die Straßen sind menschenleer. Die Karte zeigt die beiden Sperrbezirke.

Normalerweise gibt es in der Stadt nichts zu jagen. Doch auf Postwurfsendungen konnte man nachlesen, dass eine Spezies ausgesetzt worden war (man vermutet von Disney im Rahmen des Filmprojekts), die auf den Namen Virus hört. Sie soll zwar klein und schlecht zu sehen sein, aber für Scharfschützen durchaus erlegbar. Inzwischen hat die Gesundheitsbehörde eine Prämie ausgesetzt: für jeden Virus bekommt man 20 Cents. Es kamen auch gleich Suchtipps mit. Der Virus ist durchaus virulent und lebt in Bäumen und Supermärkten. Überall dort, wo es etwas zu essen gibt. Gewarnt wurde vor der Gefährlichkeit des Virus. Er sei ansteckend, so dass eine vorbeugende Elimination in jedem Fall gerechtfertigt sei.

Der Virus im Baum

Zum Glück wurde mein Colt schon am nächsten Tag geliefert, so dass auch ich auf Jagd gehen konnte. Frisch geladen ging ich auf die Straße. Eine Menge Leute waren unterwegs, alle mit ihren Handfeuerwaffen im Anschlag. Viele zielten auf bestimmte Stellen im Blätterwerk der Zierbäume an der Straße. Aber viele andere besuchten Supermärkte, weil sich herumgesprochen hatte, dass der Virus dort schon recht heimisch ist. Ich folgte einer Gruppe entschlossener Mitmenschen bis wir am Trader Joe's Supermarkt ankamen. Schon von außen hörte man, dass im Laden eine wilde Schießerei im Gange war. Wir kamen dann auch gar nicht mehr dazu, in den Markt zu gehen und ebenfalls die Jagd aufzunehmen, denn unter ohrenbetäubendem Gejaule erschienen Polizeiautos und versperrten den Weg. Wie sich später herausstellte, gab es im Laden einige erfolgreiche Abschüsse, doch leider litten nicht nur die Virusse darunter, sondern auch einige Menschen. Auf jeden Fall trug man sieben Opfer, darunter zwei Kinder, heraus. Die Presse war selbstverständlich zur Stelle und berichtete live.

Dieser Vorfall - nicht der Einzige im Sperrgebiet - führte zu einer zeitweiligen Beruhigung in der Jagdszene. Vielleicht auch deswegen, weil die meisten erkannt hatten, dass der Virus nun doch kein leichtes Ziel ist. Zudem verfügte die Behörde einen 100 Meter Mindestabstand zwischen allen Menschen zu deren Sicherheit.

5G-Sendemast brennt

Deshalb zogen nun Einzelkämpfer ins Gefecht. Bekannt aus dem Internet ist, dass 5G-Sendemasten die Menschen krank machen und den Virus verbreiten. Also musste man die vielen 5G-Sendemasten, die bisher auch in den Sperrgebieten standen, unschädlich machen. Ein probates Mittel ist immer das Anzünden. Zu Zeit stehen die meisten Stahlmasten mit ihren tödlichen Antennen in Flammen. Damit kamen jetzt auch alle Tesla-Fahrzeuge zum Stehen, da ihr autonomes System auf die 5G-Kommunikation angewiesen ist.

Und nun gibt es neue Gerüchte, genährt durch Sichtungen, die dem Disney-Megaprojekt zugeschrieben werden. Zum Beispiel wurde Emma Stone kurz in der Nähe der Universal Studios gesehen. Vertrauenswürdigen Quellen zufolge stieg sie dort in das Auto von Ryan Gosling (identifiziert von einer Hover-Drone mit Hilfe des chinesischen Gesichtserkennungsprogramms Ni Shi, das die Stadtbehörde zum Zwecke der Kontrolle der Sperrbezirke eingeführt hat) und fuhr mit ihm zu den Hollywood Hills. Danach verlor sich die Spur.

Ich schaltete jetzt öfters den KCBS TV-Kanal ein, um mehr zu erfahren. Es wurde immer wieder über die beiden Sperrgebiete berichtet und das in Zusammenhang mit dem Virus, wobei die jeweils ermittelten Aufenthaltsorte der Viren auf Karten gezeigt wurden. Mein Jagdeifer hatte sich jedoch weitgehend gelegt und mein Interesse für den Virus war verflogen. Erstaunlicherweise wurde so gut wie nicht über das Disney-Projekt berichtet. Dabei weiß eigentlich jeder in der Stadt, dass großräumige Absperrungen im LaLa Land nur auf Anweisung der großen Filmstudios möglich sind.

Sichtungen

1. Sichtung

Emma Stone

Also beschloss ich, auf Pirsch zu gehen. Einer Intuition folgend ging ich zuerst ins Griffith Observatorium, um von dort oben einen Überblick zu gewinnen. Es dämmerte schon, da erblickte ich ein Pärchen eng umschlungen am Rande der Aussichtsplattform. Aus purer Neugier beobachtete ich sie eine Weile, während es immer dunkler wurde. Endlich löste sich der Knoten und siehe da, es waren schon wieder Emma und Ryan. Da war also etwas im Busch. Ein wenig war ich allerdings enttäuscht, denn ich hatte etwas mehr Personal im Blockbuster erwartet, als immer nur diese beiden.

Ich musste systematisch vorgehen. Ich weiß, dass in jedem Blockbuster irgendwann geheiratet wird. Dafür kommt im nördlichen Sperrbezirk im Grunde nur der Valhalla Memorial Park in Frage. Bei meinem ersten Besuch war nichts zu sehen, doch ich installierte eine versteckte Kamera, die mir einen guten Blick ums Valhalla Monument verschaffte. Am vierten Tag fielen mir verdächtige Bewegungen im Park auf.

2. Sichtung

In meinem Home Office konnte ich genau beobachten, wie eine größere Anzahl Filmschaffender auf das Gelände zogen, immer in 100 Metern Abstand zueinander, und sich auf das Valhalla Monument zu bewegten. Da waren die Kameraleute, die Beleuchter, der Regisseur mit Regiestuhl, die Computerleute, und einige Polizisten. Offensichtlich sollten einige bedeutenden Szenen gedreht werden. Ich machte mich auf den Weg. Am Park angekommen, schlich ich unter der Deckung der südlichen Baumreihe Stück für Stück in Richtung Monument. Am Ende sprang ich mit wenigen Sätzen hinter das Monument und linste vorsichtig durch das Portal in Richtung Park. Anscheinend hatte mich niemand bemerkt, denn der Aufmarsch vor dem Portal ging in gebührendem Abstand weiter.

3. Sichtung

Und plötzlich trat Emma in den Torbogen, keinen Meter von mir entfernt. Sie trug ein weißes Hochzeitskleid und Blumen im Haar. Aha, dachte ich, die Schlüsselszene. Das musste der Höhepunkt des Blockbusters werden. Nun konnte ich auch die Regieanweisungen mithören. Es ging anscheinend darum, wie Emma und ihr Bräutigam, der nicht zu sehen war, einander näher kommen konnten mit dem Ziel des Hochzeitskusses. Da trat der Bräutigam doch in mein Blickfeld. Ca. hundert Meter vor dem Monument winkte er Emma kurz zu, und ich erkannte geschockt, dass es nicht Ryan Gosling war, sondern John Legend. Welch eine perfide Wendung im Verlauf dieses Dramas. Emma durfte also nicht ihre große Liebe heiraten, sondern musste mit "einem anderen Mann" vorlieb nehmen. Aber von solchen Gemeinheiten leben die Blockbuster, das weiß ich.

John hielt ein Computer-Tablet in den Händen, und jetzt sah ich, dass auch Emma ein Tablet vor sich hatte. Ich sah sie zwar nur von schräg hinten, aber auf dem Bildschirm war ganz klar das Portrait von John abgebildet. Er lächelte sie an und sie lächelte zurück. Die Regie gab vor: "Cut S99 Kiss". Emma hob das Tablet hoch, beugte den Kopf und berührte die Glasoberfläche mit ihren Lippen. John tat derweil dasselbe auf der anderen Seite. Ich war verblüfft. Das war also der berühmte Remote Kiss von Hollywood. Das hatte ich noch nie in Wirklichkeit gesehen. Emma hob den Kopf; mit einem tiefen Seufzer winkte sie John zu.

Und nun überschlugen sich die Ereignisse. Vielleicht nicht für die Filmschaffenden, aber für mich. Die folgende Minute hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, allerdings erst später, als mir deren Bedeutung klar geworden war. Von links trat ein schwarz gekleideter Priester auf Emma zu und überreichte ihr mit ausgestreckten Armen einen Kronreif, den diese auf ihre Haupt setzte. In diesem Moment war ich kurz abgelenkt, denn im Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung an der Wand, an der entlang ich die Szene verfolgte. Der Virus krabbelte in Richtung Emma und sprang genau in dem Augenblick, in dem sich Emma vor dem versammelten Publikum verbeugte, in ihren Nacken und biss zu.

Es war nur ein kleiner Punkt, doch sehe noch heute, wie dieser sich von der senkrechten Wand des Torbogens löste und nach schnellem Flug auf Emma landete. Sie schien das nicht bemerkt zu haben. Ich war geschockt. Noch heute überlege ich, ob ich die Attacke mit meinem Colt M1911 hätte stoppen können. Doch rational betrachtet hätte ich wohl eher Emma als den Virus getroffen.

Die Regie gab weiter Anweisungen zum Verlauf der Hochzeit, doch ich wollte nur noch Eines: so schnell und unbemerkt wie möglich den Ort des Schreckens verlassen.

Einige Tage später las ich diese Notiz in den Daily News: "Emma Stone, die bekannte Schauspielerin, wurde heute in das Dignity Health California Hospital eingeliefert. Sie soll die Hauptdarstellerin eines laufenden Disneyfilm-Projektes sein. Die Dreharbeiten gehen zunächst weiter, so der Pressesprecher Michael Agulnek von Walt Disney Studios."

Zehn Tage später verstarb Emma Stone.

Natürlich wurde jetzt gerätselt und nach der Ursache ihres Todes gesucht, ohne jedoch zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Es ist ein seltsames und geradezu unheimliches Gefühl, zu wissen, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der weiß warum. Ich war schon ein bisschen traurig, und als ich den Termin der Uraufführung des Films, dem 24. April, las, noch viel mehr.

Walt Disney Studios

Die Uraufführung fand im Cinemark North Hollywood statt. In der Ankündigung zu diesem Ereignis wurden alle Besucher gebeten, in schwarz zu kommen. So kam es dann auch. Eine gespenstische Prozession schwarzgekleideter Menschen zog in 100 Meter Abständen ins Cinemark, darunter auch ich. Ohne Vorrede und ohne die üblichen Werbespots begann der Film mit der Straßenverkehrs-Szene, in der Emma zufällig mit Ryan zusammentrifft. Im weiteren Verlauf erlebt man die typische Hollywood-Geschichte der verschmähten und unglücklichen Liebe, die mit der Hochzeitsszene einen andeutungsweise versöhnlichen Höhepunkt findet.

Angespannt beugte ich mich nach vorne, als die Szene im Valhalla Memorial Park begann. Emma war jetzt, im Torbogen stehend, bildfüllend zu sehen. Ich suchte schnell das ganze bewegte Bild ab, um mich zu vergewissern, ob ich hinter Emma zu sehen war. Nichts. Auch als Emma gekrönt war und sich verbeugte und danach graziös in den Park schritt war nichts von mir zu sehen. Erleichtert lehnte ich mich in den Sessel zurück. Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder ich war im Film nicht als heimlicher Beobachter zu erkennen, was aber ziemlich unwahrscheinlich ist, oder man hatte mich heraus retouchiert, sozusagen aus den Frames entfernt. Das war wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit gemacht worden. Nach dem Film gab es im Theater noch eine kleine Trauerfeier für Emma.

Die Sperrbezirke sind inzwischen aufgehoben. Der Film hat großen Erfolg, vermutlich auch wegen seines tragischen Hintergrunds. Ich habe meinen Colt verkauft; die Begegnung mit dem Virus am Monument hat mir gereicht. Ich lebe weiter im wunderlichen LaLa Land, dem Ort, an dem die wahren Geschichten das Leben schreibt, nicht der Film.

 

LiLaLaLa -> Living in LaLa Land
La La Land, Spitzname von Los Angeles, Kalifornien. und ein englischer Slangbegriff für Realitätsverlust.

Quellen:

https://en.wikipedia.org/wiki/La_La_Land_(film)
https://www.welt.de/vermischtes/article206626243/Coronavirus-in-den-USA-Amerikaner-kaufen-Regale-in-Waffenlaeden-leer.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Pistolen
https://www.nytimes.com/2020/04/10/technology/coronavirus-5g-uk.html